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Diversity-Infothek

 

Marion Keil

Dr. Marion Keil ist Diplom-Soziologin, Geschäftsführende Gesellschafterin von synetz - die Unternehmensberater GbR. Als systemische Beraterin begleitet sie (internationale) Unternehmen bei deren Veränderungsprozessen. Ihre Expertise im Diversity Management ist hier ihr besonderer USP.

Schwerpunkte: Diversity Management; Diversity Audit; Diversity als Change Management; Cultural Diversity; Interkulturelle Teamentwicklung; Virtual International Teams (VIT)

Dr. Marion Keil ist Gründungsmitglied von idm. Von 2004 bis 2008 war Sie idm-Vizepräsidentin.

Diversity Management: Aus der Beratungspraxis geplaudert

von Dr. Marion Keil

 

Der Artikel schildert zwei Beratungsfälle aus dem Kontext von Diversity Management in Unternehmen in Deutschland. Es wird deutlich, dass personenbezogene Unterschiede noch immer als Störungen interpretiert werden, die schnell behoben werden sollen. Sie als Chance zu begreifen und dem Unternehmen dadurch neue Impulse zu geben, bleibt das Thema für die Zukunft.

The article describes two consulting cases out of the context of Diversity Management in Germany. It is shown that differences between persons are still interpreted as negative tensions, which call for quick dismissal. Taking differences as a chance instead of a threat and giving thereby a company new positive impulses remains a topic for the future.

 

Die Globalisierung, die demographischen Veränderungen oder die sich ausdifferenzierenden Kundenbedürfnisse berühren jedes Unternehmen. Insofern müsste das Thema Diversity Management bei Unternehmen ganz oben auf der Relevanzskala stehen. Uns überraschen Stimmen in den Unternehmen, die wir beraten: "Modeerscheinung; amerikanisch; umbenannte Frauenförderung; wie viele (Frauen-, Behinderten-, Integrations-)Beauftragte kriegen wir denn noch? Damit kann ich dem Vorstand nicht kommen! Noch ein Zeitfresser! Ich krieg es nicht in die Praxis umgesetzt!" - so lauten viele Originaltöne zum Thema. "Zur Zeit existiert in Deutschland ein eher diffuses Verständnis über den Begriff Diversity...", so sagt die Untersuchung der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (Ivanova & Hauke, 2003, S. 54).

Interessanterweise bekommen wir jedoch gleichzeitig in steigendem Maße Beratungsanfragen, die unmittelbar mit dem Thema Diversity Management zu tun haben, die aber nicht unbedingt unter diesem Begriff subsumiert werden. Klären wir den Auftrag und bringen den Begriff "Vielfalt" oder Diversity Management" ein, so erzielen wir eine positive Resonanz - vielleicht, weil die Unternehmen dann eine Übersetzung auf ihr eigenes Anliegen vornehmen können?

Im Folgenden wollen wir zwei Beispiele von Beratungsaufträgen darstellen, die für uns, die Beratungsfirma synetz - die Unternehmensberater, typische Diversity Management Aufträge sind: sie sind Diversity Management bezogen, werden aber eher nicht so genannt. Das bedeutet, es geht vordergründig um einen oder mehrere Unterschiede (Geschlecht, Nationalität, Alter etc.), die im Rahmen von Zusammenarbeitsprozessen in Unternehmen auffallend geworden sind - als Konfliktquelle oder ein möglicher Grund geringerer Effizienz. Interessanterweise konzentriert man sich in der Regel eben auf den Unterschied und nicht auf die Gleichheit oder Ähnlichkeit (siehe den Beitrag von Vedder in diesem Heft):"Das moderne Diversity Management (...) muss aber immer wieder darauf hinwirken, dass nicht nur das offensichtlich Trennende, sondern auch das hintergründig Verbindende zwischen Personen thematisiert wird".

 

Fall 1: Der Mann ist unbelehrbar...

Die Anfrage kommt von einem amerikanischen Automobilkonzern in Deutschland. Im Rahmen des jährlichen 360° Feedback-Prozesses ist dem Produktionsdirektor, einem über 60-jährigen, gestandenen Mann, ein negatives Zeugnis ausgestellt worden. Besonders Frauen, aber auch Männer in seinem Bereich fühlen sich durch seinen rüden Kommunikationsstil nicht wertgeschätzt. Das Unternehmen hat bereits einen Diversity Management - Ansatz etabliert, der dazu geführt hatte, dass der Bereich Human Resources eine Diskriminierung von Frauen im Bereich des Produktionsdirektors ahnt. Er soll sich nun einem Coaching unterziehen.

Im Rahmen unseres systemischen Coaching-Ansatzes, wo der subjektiven Konstruktion von Wirklichkeit des Kunden eine große Rolle zukommt, definieren wir den Kontrakt natürlich immer auch direkt mit dem Coachee, so auch hier. Kernpunkte sind, was er selbst erreichen möchte und ob er mit uns (hier: eine Frau) zusammenarbeiten will. Scheinbar stimmt die Chemie, denn er stimmt zu und klärt für sich den Auftrag: er will seine Reputation im Unternehmen steigern, da er sich selbst diskriminiert fühlt.

Im Laufe der drei Coaching-Sitzungen von je drei Stunden stellt sich heraus, dass der Coachee als Einziger in der obersten Führungsetage des Werks nicht studiert hat, was er selbst als großen Nachteil erlebt und was ihn gleichzeitig mit Stolz erfüllt, es doch "geschafft" zu haben. Gleichzeitig kommuniziert er in dieser Runde unverblümt, oft auch Probleme klar ansprechend, während er seine Kollegen als unauthentisch erlebt, der amerikanischen Mutter gegenüber devot. Wir arbeiten heraus, dass er stellvertretend für die Kollegen versucht, Klarheit zu schaffen. Er nimmt den anderen die Last von den Schultern und trägt sie allein, ein Muster, das sich im Privatleben wiederfindet. Er spricht mit niemandem, auch nicht mit seiner Frau, über seine Sorgen. Nach der ersten Sitzung plant er als Intervention, sich bei der nächsten Sitzung mit seinen Kollegen zurück zu nehmen und nur Fragen zu stellen. Die Intervention gelingt, bei der nächsten Sitzung kann er berichten, dass er erfolgreich anders kommuniziert und sich nicht so aufgeregt hat wie sonst. Wir schauen uns nun sein unmittelbares Team an, arbeiten stark mit Perspektivwechsel. Wie wird er wohl von den anderen gesehen und empfunden? Was an seinem Verhalten scheint gewisse Reaktionen hervorzurufen? Dazwischen erhält er Feedback von uns, denn es wird immer klarer, dass er sich wie ein Gefangener eines sehr klassischen männlichen Rollenmusters verhält (immer stark sein!) und selbst darunter leidet. Wieder plant er eine Intervention. Er wird mit seinen Teammitgliedern einzeln sprechen und sie fragen, wie sie ihn sehen und wie sie sich fühlen. Davor ist er sehr aufgeregt. Zur nächsten Sitzung, die auch die letzte sein wird, berichtet er, wie positiv seine Mitarbeiter reagiert hätten und welche Hinweise er auf mögliche Verhaltensänderungen bekommen hat. Nun will er einen Workshop mit allen machen, um ein gemeinsames Vorgehen für den Bereich zu planen. Er freut sich, dass alles ohne Blessuren abgelaufen ist, und nimmt nun eine weitere zentrale Sitzung mit seinen Kollegen in einem anderen Land in Angriff, wo eine eventuelle Werksschließung ansteht, von der er nichts hält. Er erarbeitet seine persönliche Kommunikationsstrategie dafür. Die drei vereinbarten Coaching-Sitzungen sind nun beendet, er bewertet sie für sich als sehr positiv.

Nach einigen Wochen hören wir vom Human Resources-Bereich, dass sich mit Herrn X eine wundersame Wandlung vollzogen hätte und man nun mit ihm sehr gut auskäme - gerade auch im Kollegenkreis.

 

Fall 2: Diese Frauen...

Die deutsche Tochter eines amerikanischen Unternehmens, welches Steckverbindungen herstellt und vertreibt, führt alle zwei Jahre eine Mitarbeiterbefragung durch. Zu ihrem großen Schreck sind die Ergebnisse im Vorstandsbereich der Zentrale zum Thema Führung und Unternehmenskultur stark abgesackt. Ausgerechnet im Personal- und im Finanzbereich fühlen sich die Mitarbeiter ungerecht behandelt, die Mitarbeiterzufriedenheit ist gesunken, es scheint an Anerkennung, Vertrauen und Teamarbeit zu fehlen. Die Führung gibt nicht genug Feedback. Interessanterweise wird diese Einschätzung besonders von Frauen in den Abteilungen gegeben.

Wir werden kontaktiert, um das Unternehmen dabei zu unterstützen, die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung nachhaltig zu verändern.

Im Erstkontakt stellen wir fest, dass die amerikanische Mutter eine Auge darauf hat, dass sich die Ergebnisse verändern. Weiter stellt sich heraus, dass eine der betroffenen Frauen in der Personalabteilung viel Energie investiert hat, damit aus den Ergebnissen der Befragung reale Maßnahmen werden, sich also wirklich etwas verändert. Außerdem baut das Unternehmen in Deutschland gerade massiv Arbeitsplätze ab, sodass viel Energie in diesen Prozess investiert wird. Die Stimmung in den beiden Abteilungen wird als sehr schlecht beschrieben. Auf die Rückmeldung der quantitativen Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung an den (rein männlichen) Vorstand sei defensiv, unwirsch bis hin zu aggressiv reagiert worden. Viel Geld sei für den Prozess aber nicht da.

Wir schlagen also folgenden Prozess vor: wir lernen den Vorstandsvorsitzenden und die beiden Vorstände einzeln kennen. Der Vorsitzende tut das Ganze ab mit der Bemerkung, Frauen wollten eben ein bisschen umworben und manchmal mit einem Blumenstrauß befriedet werden, beide Kollegen hätten da keinerlei Geschick. Er ist aber einverstanden, an den Befragungsergebnissen etwas zu ändern. Im Kennlerngespräch mit den beiden direkt betroffenen Vorständen zeigen diese teilweise Empörung, dass man hinter ihrem Rücken solche Befragungsergebnisse produziert hat und eine gewisse Unruhe und Befürchtung, dass ihr Ruf weiteren Schaden nehmen könnte. Aber beide akzeptieren uns und das weitere Vorgehen. Es werden in beiden Bereichen mit den jeweils etwa fünf Mitarbeiterinnen qualitative Interviews durchgeführt. Wir arbeiten mit systemischem Hintergrund. Entsprechend erarbeiten wir aus diesen Daten bereichsbezogene Hypothesen und spiegeln diese an den jeweiligen Vorstand individuell zurück. Während des gleichen Termins werden ebenfalls einige zentrale Veränderungsschritte entwickelt. Nach etwa einem halben Jahr sollen nochmals Kurzinterviews mit den Mitarbeiterinnen durchgeführt und mit den Vorgesetzen besprochen werden.

In den Interviews stellt sich in groben Zügen folgendes heraus: die Frauen beider Abteilungen fühlen sich nicht wertgeschätzt und in ihrer Leistung gesehen. Sie empfinden eine "gläserne Decke" nach oben in die Vorstandsetage, wo keine Frau zu finden ist. Nur äußerst selten dürfen sie selbst Präsentationen in diesem Forum halten, obwohl der eigene Vorstand dies weder gerne noch gut macht. Sie fühlen sich nicht geführt, da regelmäßige Treffen des Bereichs fehlen. Der eine Vorgesetzte ist fast nie anwesend, da er im Personalabbauprozess extrem involviert zu sein scheint - viel zuviel, da er keine Informationen austauscht und keine Aufgabe delegiert. In beiden Bereichen berichten die Stellvertreterinnen, dass sie den Eindruck haben, ihre Vorstände hegten ihnen gegenüber Konkurrenzgefühle - und wollen sie deshalb klein halten. Gleichzeitig kooperieren die Frauen auch untereinander nicht optimal, einerseits weil alte Konflikte nicht ausgeräumt worden sind und andererseits, weil der Vorstand die Differenzen scheinbar intuitiv ausnutzt. Alle Kommunikation läuft über den (abwesenden) Vorstand. Alle Frauen sind froh, sich einmal aussprechen zu können und gleichzeitig sehr ängstlich, ob dies ihnen zum weiteren Nachteil geraten könnte.

Wir werten die Interviews aus und entwickeln daraus zwei Geschichten: eine Geschichte von einem Hahn im Hühnerhof und eine von einem Löwen im Zoo. Beide Geschichten verpacken strikt im Bild bleibend die zentralen Hypothesen: beide Vorstände führen quasi nicht, beide kommunizieren nicht angemessen (der eine spricht nur über sich und hört nicht zu, der andere kapselt sich ab und erwartet, dass seine Mitarbeiterinnen auf ihn zugehen). In beiden Geschichten intervenieren wir mit einer deutlich positiven Konnotation - ihre "männliche" und gleichzeitig nicht wirklich führende Ausgestaltung ihrer Rolle beschreiben wir positiv: Führung ist wichtig und sie sind wichtig für ihre Mitarbeiterinnen. Auf sie in ihrer Position als Vorstände wird geschaut - die Bedeutung und Rolle, die sie haben, will ausgefüllt sein.

Beide Vorstände erwarten uns, getrennt, mit kaum versteckter Aufregung. Wir lesen die Geschichte jeweils wie ein Märchen vor. Beim Hahnbild schmunzelt der betroffene Vorstand, es wird klar, er soll nicht angegriffen werden. Er, der Vielredner, hört zu, lacht, und wir können alle Hypothesen ernsthaft besprechen. Wir verabreden einige Maßnahmen wie regelmäßige Treffen mit seiner Mannschaft, Delegation von Aufgaben an seine Stellvertreterin, klares und positives Feedback an diese usw. Die Löwengeschichte (der "Einsame") kommt bei seinem Kollegen ebenfalls gut an. Er nimmt Anregungen auf und sieht sich gut getroffen. Er will in Zukunft auch mehr Treffen und eine viel engere Kooperation mit seiner Stellvertreterin einführen. Diese sieht er klar als seine Nachfolgerin an, hat ihr dies aber nie offen gesagt.

Nach einem halben Jahr kommt es zum Erfolgscheck: in kleineren Interviews stellt sich heraus, das beide Bereiche sich positiv entwickelt haben. Die Stellvertreterinnen fühlen sich viel besser eingebunden und erst genommen. Die Kommunikation in den Bereichen hat sich, auch untereinander, erheblich verbessert. Beide präsentieren jetzt auch in den Vorstandssitzungen und die eine weiß nun, dass sie die Nachfolge antreten wird.

 

Hypothesen zur zukünftigen Bedeutung von Diversity Management für Unternehmen in Deutschland und die Unternehmensberatung

Zusammenfassend können wir heute aus unseren Beratungserfahrungen heraus folgende Hypothesen formulieren:

Für uns ist Diversity Management das zentrale Zukunftsthema in der Beratung.

 

 

Literatur:

Ivanova, F & Hauke, C. (2003). Managing Diversity. Neue Herausforderung für die internationale Unternehmung. Ökonomische und sozialwissenschaftliche Relevanz. Düsseldorf: DGFP.

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