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Diversity-Infothek

 

Barbara Weißbach

Dr. Barbara Weißbach ist Diplom-Pädagogin und promoviert in Psychologie

Schwerpunkte: Diversitysensible Personalentwicklung; Fortbildung für Changemanagement; Fortbildung für fallorientierte Arbeitsberatung und -vermittlung; Interkulturelle Trainings

Arbeitet in Deutschland, Spanien, Rumänien, Litauen

Geschäftsführerin des IUK-Instituts, Direktorin des National Board for Certified Counselors (NBCC, USA) Germany

idm-Mitglied seit 2007

Diversity-Kompetenz in der Beratungsarbeit

von Dr. Barbara Weißbach

 

Die Etablierung von Diversity Management und Diversity-Kompetenz in der Beratungsarbeit sind bisher eher unterbelichtete Themen in der einschlägigen Diskussion und Literatur gewesen. Dabei finden wir bei Ratsuchenden ebenso wie bei Beratenden das breite Spektrum der klassischen Diversity-Merkmale: Sie sind Frau oder Mann, jünger oder älter, unterscheiden sich nach Hautfarbe, Gesundheit, ethnischer Herkunft, Religion und sexueller Identität. Dahinter stehen sehr unterschiedliche Geschichten, Einstellungen und Haltungen. Das kann für beide Seiten schwierig sein: Wer als Mann nie Kinder ganztägig versorgt hat und in der Arbeitsvermittlung tätig ist, dem wird es schwer fallen, die Fragen und Befürchtungen einer weiblichen Berufsrückkehrerin nach längerer Familienphase zu verstehen. Wer über 50 ist, zweifelt schon mal die Kompetenz der 26jährigen Gesundheitsberaterin an. Wer ein Geschäft gründen will und aus einem Land kommt, in dem Selbstständigkeit als Arbeits- und Lebensform über Jahrzehnte nicht vorgesehen war, stößt vielleicht auf einen Gründungsberater, der ihm die Notwendigkeit der Offenlegung seiner finanziellen Situation nicht angemessen vermitteln kann und erhält rasch das Etikett "nicht kooperationsbereit". Wer eine lange traumatische Fluchtgeschichte hinter sich hat, findet vielleicht gar keinen Zugang zu Beratungsangeboten, weil in seinem oder ihrem Herkunftsland Heiler und Schamanen zuständig waren, wenn die Seele bedrückt war. Wer der Stolz seiner Eltern und seines Clans war, weil er es bis zum Studium geschafft hat und jetzt massive Probleme mit seinem Examen hat, trifft auf eine Studienberaterin, die seine Mission und sein starkes Motiv nicht versteht. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen.

Diversity-Kompetenz wäre also auch in der Beratungsarbeit eine wesentliche Fähigkeit, die die Qualität von Beratung entscheidend verbessern kann. Gegenüber der Vielfalt von Ratsuchenden, Klientinnen und Klienten und ihren Lebenssituationen sensibel zu sein, meint, Individualität und Unterschiedlichkeit anzuerkennen und auf dieser Basis wertneutrale und der Ratsuchenden Frau angemessene Handlungsstrategien zu entwickeln. Wer diese Sensibilität aufbaut, entwickelt Diversity-Kompetenz. Zu ihr gehören zunächst viele soziale und kommunikative Kompetenzen, die Teil des generellen Anforderungsprofils von Beratungsberufen sind: die Fähigkeit zum aufmerksamen Zuhören, zur Empathie, zur Fokussierung auf das Anliegen des Gegenübers, zur verständlichen Vermittlung wesentlicher Informationen, zu Kooperation, Selbstkontrolle und Frustrationstoleranz.

Zur Entwicklung von Diversity-Kompetenz gehören jedoch auch spezifische Haltungen und Einstellungen, die zu den großen persönlichen Herausforderungen an die Menschen zählen, die in Beratungsberufen arbeiten:

Viele in der Beratung tätigen Menschen denken von sich, dass sie selbstverständlich die Individualität ihrer Klientinnen und Klienten achten und in Rechnung stellen. Oft handelt es sich jedoch um ein nur oberflächliches Verständnis von Individualität: Sie wird nur dann akzeptiert, wenn sie sich von der eigenen nicht zu sehr unterscheidet und nicht irritiert. Mit solch einem oberflächlichen Verständnis kann man schnell an seine Grenzen geraten und wird seinem Arbeitsauftrag nicht mehr gerecht. Auch die rasch in den Raum gestellte Anpassungsforderung an hier im Land generell oder in Bildung und Erziehung oder in der Arbeitswelt geltende Bedingungen, Normen und Werte zeichnet sich oft durch Oberflächlichkeit aus: Bereits stattgefundene Anpassungsanstrengungen und deren Resultate werden nicht wahrgenommen und gewürdigt (Weißbach / Weißbach / Kipp 2008).

Die in der Beratungsarbeit wünschenswerten Haltungen und Einstellungen als Elemente von Diversity-Kompetenz können auf zwei Arten gefördert werden:

Erstens muss die Fähigkeit zur Interpretation von Biographien im diversen Kontext systematisch geschult werden. Dabei nutzt man im Allgemeinen narratives Material, das ggf. sorgfältig dokumentiert und erschlossen werden muss, wenn mit den Klientinnen und Klienten längerfristig gearbeitet werden soll. In den von Klientinnen und Klienten verwendeten Metaphern und Schlüsselbegriffen dokumentieren sich - natürlich auch in Abhängigkeit von ihrer Sprachkompetenz - ihre Wünsche, Interessen, Selbstbilder und Selbstwirksamkeitsannahmen, aber auch ihre Beschränkungen. Große sprachliche Sensibilität auch für scheinbar unbedeutende Äußerungen sowie die Wahrnehmungsfähigkeit für diverse Körpersprachen sind für das Verständnis nützlich. Biographische Handlungsschemata, Verlaufskurven und Wandlungsprozesse sowie konstante Muster der Entscheidungsfindung in Auseinandersetzung mit wechselnden kulturellen Einflüssen können so besser verstanden werden.

Damit zusammenhängend ist zweitens die allgemeine Förderung der Selbstreflexion der Beratenden von erheblicher Bedeutung. Damit meinen wir vor allem die Bewusstmachung eigener innerer Bilder und Stereotype über Andere, deren Merkmale oder Lebensentwürfe wir nicht verstehen und die uns irritieren oder gar ärgern. Irritation und Ärger führen rasch zum Abbruch von Beratung und Dialog, noch ehe sie wirklich begonnen haben. Wenn Beratende ihre persönlichen Auslöser von Irritation und Ärger identifiziert haben, können sie herauszufinden versuchen, was genau sie daran stört - und was dieses (Ver-)Störende mit ihnen selbst zu tun hat. Sie können lernen, dass ihre bisherige Reaktion eine Interpretation und damit Selektion dessen darstellt, was sie bei Ratsuchenden beobachtet haben. Beobachten, interpretieren und reagieren sind drei voneinander unterscheidbare Schritte, die in der Realität jedoch häufig in Sekundenschnelle ablaufen und festlegen, wie es weitergeht (Schulz von Thun, 1981: 75 ff). Betrachtet man jeden Schritt für sich, wird deutlich, dass eine alternative Verstehens- und Interpretationsarbeit zu anderen Reaktionen führen kann und zukünftig sich auch die Wahrnehmung verändern kann. Wenn Beratende lernen, die mentalen Programme zu verstehen, die dem Handeln ihrer diversen Klientel zugrunde liegen, können sie ihre Beobachtungen neu interpretieren und anders deuten als bisher (Weißbach u.a. 2005).

Vielen Beratenden hilft das Wissen um diese Programme, Verhaltensweisen und Lebensentwürfe ihrer Klientinnen und Klienten bzw. ihrer Teammitglieder anders zu verstehen und anders mit ihnen umzugehen. Hilfreich sind hierbei Lernschritte, die auf die Sensibilisierung für eigene Erlebnisse des Anders-Seins zielen. Dies fördert die Suche nach "Türöffnern", die helfen, den Dialog in Gang zu bringen. Das wiederum bietet die Chance zu sachlicheren und neutraleren - weil nicht bewertenden - Beratungsstrategien. Die Beratenden erweitern ihren Handlungsspielraum durch Selbstreflexivität, Wissen um diverse mentale Programme und das Erlernen alternativen Verstehens.

Diversity-Kompetenz zielt auf Individualisierung von Beratungsstrategien: Erweitertes Wissen um Lebensgeschichten und -situationen hilft den Beratenden, bisher subtil wirkendes Schubladendenken ("alle Frauen nach der Familienphase ...", "alle Langzeitarbeitslosen ...", "alle Schwulen") zu überwinden. Sie öffnet die Tür zu person- und situationsspezifischen Vorgehensweisen.

Dies ist vor allem überall dort wichtig, wo Beratende nicht unbedingt eine fundierte und intensive Kompetenzentwicklung in Gesprächsführung und klientenzentrierter Arbeit durchlaufen haben, also etwa in der Berufs- und Arbeitsberatung, Existenzgründungsberatung und Studienberatung.

Im Rahmen des europäischen Programms Life Long Learning (gefördert durch LEONARDO) hat das Institut der Verfasserin im transnationalen Projekt "Development of Diversity in Europe (DIDE)" www.thedideproject.com und www.iuk.com / Projekte) Trainingspläne und Lernmaterial für die Entwicklung von Diversity-Kompetenz insbesondere für Beschäftigte der Arbeitsberatung und -vermittlung, von Bildungsträgern, NGOs und der Polizei erarbeitet.

 

Literatur:

Schulz von Thun, F.: Miteinander reden. Band 1. Reinbek bei Hamburg 1981

Weißbach, B. / Weißbach, H.-J.: JobPromotor. Berufsbegleitende Fortbildung für fallorientierte Jobberatung und -vermittlung. Curriculum Modul 6. Frankfurt am Main 2005

Weißbach, B. / Weißbach, H.-J. / Kipp, A.: Managing Diversity. Konzepte - Fälle - Tools. Ein Trainingshandbuch. 2. erweiterte und überarbeitete Auflage. Dortmund 2008

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