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Diversity-Infothek

 

Grethe van Geffen

Grethe van Geffen arbeitet seit 1997 als Spezialistin und Beraterin für Kultur und Vielfalt in ihrem Büro Seba cultuurmanagement bv, Amsterdam. Sie studierte französische, später auch türkische Sprach- und Literaturwissenschaft und Betriebswirtschaft.

Sie hielt zahlreiche Trainungs, Vorträge und Workshops (national und international), außerdem ist sie Autorin vieler Publikationen, u.a. in 2007 das Buch "Verschil moet er zijn" ('Unterschied muss sein'), über die 10 kritischen Erfolgsfaktoren für Diversity Management. Grethe bekleidete verschiedene Vorstandspositionen in unterschiedlichen Organisationen und ist seit 1. Januar 2008 Vorstandsvorsitzende von Mensa Nederland.

idm-Mitglied seit 2005

Erst wägen, dann wagen! Zwischen Prinzip und Praxis. Managing Diversity in der Beobachtung globaler Ansätze

von Grethe van Geffen

 

Warum arbeiten wir an Vielfalt? Tun wir das für Gerechtigkeit und geschäftliche Ethik, oder geht es um den Business Case? Oder beides? Auf der 5. Internationalen Diversity Konferenz in Peking, China, im Sommer 2005 wurden für die weltweise Arbeitsweise zu Managing Diversity zwei deutliche Strömungen sichtbar. Die eine Strömung folgt dem Gedankengang von Gerechtigkeit und Ethik; die andere folgt betrieblichen und wirtschaftlichen Interessen: dem sogenannten Business Case. Auf der 5. Internationalen Diversity Konferenz in Beijing waren diese Strömungen meistens noch implizit, nicht explizit. Es gab viele Teilnehmer, die dort ihre eigenen Präsentationen hielten. Viele Wissenschaftler kennen ihre eigene Perspektive gut, nicht aber die Perspektiven im gesamten Feld.

 

China: neues Bewusstsein von Vielfalt

Professor Ning Wang aus China hat uns ein Land geschildert, das mit der Globalisierung ringt und mit allen Veränderungen die Chinas neue Politik mit sich mitbringt. China und auch andere ehemalige Entwicklungsländer haben Angst ihre eigene Identität zu verlieren. Die Globalisierung bietet Chancen, aber es ist unvermeidlich, dass dabei neue Sachen in diese Länder eindringen, und die kann man als bedrohlich für die eigene Kultur und die eigenen Werte erfahren. Wie formt man Identitäten, und wie können Menschen und Länder eine Identität finden? Für China ist diese Fragestellung neu zu benennen, was der einzigartige, nationale Charakter genau ist. Man sucht ihn, aber man kann keine Übereinstimmung darüber finden, was nun wirklich chinesisch ist. Professor Ning Wang meint, dass eine reine chinesische oder asiatische Kultur im Zeitalter der Globalisierung ein Mythos ist. Er konstatiert, dass Afro-Amerikaner im Westen ihren eigenen kritischen Diskurs gebildet haben; warum sollten die Chinesen das nicht leisten können? Auch weist er darauf hin dass der Westen China den Marxismus und Sozialismus gebracht hat und dass beide eine deutliche chinesische Identität bekommen haben. Deshalb ermutigt er die Chinesen, keine Angst zu haben vor neuen Sachen aus dem Westen oder vor der Globalisierung: der chinesische Stempel kommt sicher darauf!

Professor Ning Wang beschreibt einen Prozess, den wir in Europa auch sehr gut kennen. Mit jeder Erweiterung der EU fragen sich die Einwohner der Länder die schon lange in der EU sind, wie Deutschland oder die Niederlande, sich im Stillen oder auch laut, 'was jetzt wieder dazu kommt'; immer haben wir Angst für unterschiedlichen Normen und Werten, vor Verlust von Einfluss und der eigenen Identität. Der Prozess der Globalisierung lässt sich kaum steuern und ist unumkehrbar. Fünfzig Jahre Übung haben uns aber gelehrt, dass nicht eine isolierte Position sondern aktiver Einsatz die beste Garantie sind für eine eigene Identität!

 

A. Gerechtigkeit

Die Strömung die ausgeht von Gerechtigkeit und Ethik, betont im allgemeinen soziale Ungleichheit und Diskriminierung. Vertreter dieser Strömung betrachten meist die Position von Frauen und Migranten. Man geht davon aus, dass die Menschen, die jetzt die besten Positionen innehaben - meistens weisse Männer - ihre Vorrangstellung nicht klaglos aufgeben. Ein wichtiges angestrebtes Ziel ist darum das Teilen der Macht. Anzahlen sind in dieser Strömung ein sehr wichtiges Kriterium: der Erfolg von Unternehmen, die sich um Vielfalt bemühen, zeigt sich in der Anzahl von Frauen und Migranten, die bei diesen Unternehmen arbeiten, auch in Spitzenfunktionen. Außerdem sollen Unternehmen ihren weiblichen und/oder migrantischen Arbeitnehmern Sicherheit bieten: der Arbeitsplatz soll frei sein von Mobbing und Diskriminierung.

Die Strömung von Gerechtigkeit und Ethik findet ihren geographischen Ursprung in den Vereinigten Staaten, und zwar in den 60er Jahren. Im Moment basiert die meiste Praxis noch darauf, wie auch in Großbritannien. In (Kontinental-)Europa sind davon Effekte spürbar, aber es gibt auch einen gewissen Widerstand. Das gilt auch für Australien und Neuseeland.

 

A.1 Gesetzgebung

Gesetzgebung spielt in dieser Strömung eine wichtige Rolle. Das Teilen der Macht geht nicht ohne einen gewissen Zwang. Mitarbeiter und externe Sympathisanten müssen gemeinsam für ihre Rechte streiten. Wenn Mitarbeiter Gesetze für Gleichberechtigung benutzen, um einen Prozess gegen ihren Arbeitgeber anzugehen, stimmt das die Anhänger dieser Strömung meist zufrieden. Die Erfahrung hat gezeigt, dass Unternehmen die einen Prozess betreffend Ungleichbehandlung oder Diskriminierung verloren haben, danach öfter aktiv und erfolgreich zu Werke gehen mit Massnahmen, um solche Geschichten in Zukunft zu vermeiden.

 

A.2 Verbindung zu CSR (Corporate Social Responsibility)

Der ethische Gesichtspunkt in dieser Strömung ist jünger als der Gesichtspunkt der Gerechtigkeit, schliesst aber dabei an. Er gehört zum Kontext des Interesses für Corporate Social Responsability: ein Unternehmen ist Teil der Gesellschaft und keine in sich selbst bestehende Erscheinungsform. Deswegen muss sich ein Unternehmen um soziale Ungleichheiten kümmern und einen Beitrag leisten, um diesen entgegenzuwirken, z.B. durch die Schaffung von Arbeitsplätzen für Mitglieder von Minderheitsgruppen, wenn aus Statistiken hervor geht, dass diese eher - und in größerer Zahl - arbeitslos sind als andere.

 

Accountability für Nachhaltigkeit in Vielfalt

Aus den Vereinigten Staaten kommt das Beispiel von Sara Lee, einem grossen kommerziellen Unternehmen, das, der präsentierenden Wissenschaftlerin Dr. Chanelle James nach, nicht den Business Case sondern eine ethische Herangehensweise wählt. Der Enron-Skandal, wo Zahlen nicht mehr zuverlässig waren und zu grossen Verlusten für Aktionäre und andere Unternehmen, beispielsweise Zulieferern geführt haben, hat 'accountability' zu einem wichtigen Thema auf der geschäftlichen Agenda der Vereinigten Staaten gemacht. Der Business Case, so meint man, kann verschwinden. Wenn es keine geschäftlichen Interessen mehr gibt, aber ein Unternehmen auf den Business Case gesetzt hat, dann bemüht sich das Unternehmen nicht mehr um Frauen, Minderheiten etc. Von 'accountability' ausgehend, sind Unternehmen die ihren eigenen Business Case in den Mittelpunkt stellen, unzuverlässig. Vielfalt soll auf der Ebene von Werten in das Unternehmen integriert werden. Der Business Case kann verschwinden, aber Werte bleiben. Gerechtigkeit ist so ein Wert der mit Vielfalt verbunden ist. Sara Lee in North Carolina hat in seine Mission aufgenommen, dass jede Entscheidung auf jeder Ebene im Unternehmen "gerecht" ist; und das ist nicht das Gleiche wie "ehrlich." Es kann "ehrlich" sein, einen Mitarbeiter zu entlassen, aber nicht "gerecht". Wenn man Vielfalt unter diesem Gesichtspunkt im Unternehmen einführt, wird ein Unternehmen 'accountable', meint Dr. James.

Passt so eine Herangehensweise auch zu Europa? Erstens denke ich, dass die Angst, der Business Case könnte verschwinden, für Europa Unsinn ist. Die Vielfalt in Europa nimmt noch mindestens zwanzig Jahre zu, länger als manche Unternehmen mit ihren Werten überleben. Vielfalt ist also dauerhafter als Unternehmenswerte. Für Unternehmen wird gutes Diversity Management ein wichtiger Überlebensfaktor. Klar geht es den Unternehmen dann nicht mehr um Frauen und Minderheiten, sondern um sich selbst. Irgendwann müssen wir doch das Patriarchat los werden! Ein kluges Unternehmen hat heutzutage Frauen und Minderheiten, die selbst Manager sind und entscheiden über die Zukunft des Unternehmens.

 

A.3 Auswirkung in der Organisation

Diese Strömung von Gerechtigkeit und Ethik legt großen Wert darauf, dass Vielfalt in Organisationen aufgenommen wird: auf der Ebene von Kernwerten, und auch in der Personalpolitik. Schulungen konzentrieren sich auf die Überzeugung von Menschen und die richtige Analyse der Wirklichkeit; nicht nur auf organisatorischer, sondern besonders auch auf gesellschaflicher Ebene. Oft nennt man das Sensibilisierung, Bewusstwerdung oder 'awareness'. Die Mitarbeiter der Unternehmen sollen verstehen, was soziale Ungleichheit ist, wie es sich anfühlt und wie es sich innerhalb von Organisationen auswirkt bezüglich Diskriminierung und Mobbing. Die Annahme dabei ist, dass wenn Menschen das wissen, sich die Situation an den Arbeitsplätzen bessert.

 

Bilanz von zwanzig Jahren Bewusstwerdung

Aus den Vereinigten Staaten kommt auch die Frage, wie Unternehmen weiter gehen sollen nach zwanzig Jahren Diversity Management. Die Bilanz ist nicht sehr positiv. Es gibt die Gesetzgebung und grosse Programme, der Fortschritt ist jedoch relativ beschränkt. Als Problem nannte die Wissenschaftlerin Dr. Chaunda Scott, dass heutzutage jeder Mitarbeiter in den Vereinigten Staaten von den Vorteilen von Vielfalt überzeugt ist, aber dass die Probleme, die mit Vielfalt am Arbeitsplatz zusammenhängen, trotzdem fortwähren. Evaluierung von Programmen gibt es kaum. 1998 hat der Begründer von Diversity Management, Professor Roosevelt festgestellt, dass der Fokus in Unternehmen immer noch zuviel auf Anzahlen liegt - Anzahle sind keine Garantie für ein gutes Diversity Management und für den sinnvollen, gewinnbringenden Einsatz von Talenten.

Wie soll der nächste Schritt aussehen in den Vereinigten Staaten?

Dr. Chaunda Scott meint, dass fünf Elemente notwendig sind für zukünftigen Erfolg:

Können wir in Europa davon etwas mitnehmen? Sicherlich! Im Vergleich zu den Vereinigten Staaten sind wir weniger auf 'Normen und Werte' orientiert und wir haben auch einen praktischeren Einfallswinkel. Dr. Scott zeigt uns, dass in den Vereinigten Staaten viel von Konzepten und Idealen aus gearbeitet wird. Wir haben schon das Beispiel von Sara Lee gesehen. Können Sie sich vorstellen, wie europäische Unternehmen Schulungen über Gerechtigkeit organisieren? Das ist eine ziemlich politische Herangehensweise. Und Politik wollen die meisten europäischen Manager nicht im Unternehmen. Wenn in den Vereinigten Staaten soviele Mitarbeiter die Vorteile von Vielfalt sehen, aber in der Praxis offenbar wenig damit tun, dann war der Fokus des Vielfaltsprogramms zu wenig praktisch orientiert. Natürlich muss man Anschluss suchen bei den Mitarbeitern und den Bedürfnissen der Unternehmen! Wir müssen damit direkt am ersten Schulungstag beginnen! Auch die Empfehlung, Strategien für Vielfalt in andere Veränderungsprozesse zu integrieren, sollten wir unbedingt folgen. Trainer aber sollten, unserer Meinung nach, lieber Ahnung haben von Management, als in persönliche Transformation zu investieren. Dieses letzte Kriterium sehe ich wieder als zu typisch amerikanisch, fast normativ; wie beurteilt man, ob ein Trainer dafür ein `ausreichend` bekommt? Ein guter Trainer hat die Kompetenz, Einsicht in Vielfalt zu kombinieren mit der täglichen Praxis von Unternehmen.

 

B. Business Case

Diese Strömung geht vom Business Case aus: die (betriebs-)wirtschaftlichen Interessen und die Chancen die bezüglich Vielfalt darin liegen, stehen an erster Stelle. Unterschiedliche wissenschaftliche Untersuchungen haben ausgewiesen, dass ein vielfältiger Personalbestand deutlich positive Effekte für Unternehmen und Organisationen in der Öffentlichkeit bringen kann. Diese positiven Effekte werden betont und manchmal auch übertrieben. Diese Strömung geht davon aus, dass Unternehmen willens sind und überzeugt werden können, Diversity Management zu implementieren, und zwar auf Grund eines wohlverstandenen Eigeninteresses. Vielfalt sieht man zuallererst als eine praktische Frage: wie kann ein Unternehmen am besten überleben in einer Welt, die immer mehr Vielfalt zeigt, und wie kann man vielleicht mittels eines schlauen Herangehens an Vielfaltspolitik einen Vorsprung gewinnen im Vergleich zu anderen Unternehmen?

Geographisch findet diese Strömung ihren Ursprung ebenfalls in den Vereinigten Staaten, bei Professor Thomas Roosevelt jr., aber die Entwicklung von Vielfalt als Business Case in Unternehmen kollidiert da in der Praxis oft mit der Strömung von Gerechtigkeit und Ethik. Bei Projekten wird viel diskutiert über die beste Vision bezüglich Vielfalt, und es kommt vor, dass Manager und Mitarbeiter sich gegenseitig auf moralischer Ebene messen.

In nicht-westlichen Ländern wird der Business Case besser ausgearbeitet, weil Unternehmen bezüglich Vielfalt erfolgsorientierter sind; die Leitlinie ist nicht was sein soll, sondern was funktioniert, und die Ausrichtung auf die Zukunft ist da vorerst größer als die Ausrichtung auf geschehenes Unrecht in der Vergangenheit.

 

B.1 Vom Gruppenproblem zum Organisationsproblem

Auch in dieser Strömung ist die Position von Frauen und Migranten ein besonderer Punkt, der Aufmerksamkeit verdient. Aber das gilt ebenso für andere, mehr oder wenige sichtbare Gruppen: Behinderte, Menschen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung, mit unterschiedlichem Alter, Religion, Ausbildung, mit hohem IQ, mit unterschiedlichen Lern- und Lebensstilen. Der Kern der Sache ist nicht, dass Frauen und Migranten mehr oder höhere Positionen in Organisationen bekommen sollen, sondern, dass Organisationen Fertigkeiten erwerben, um mit Unterschieden umgehen zu können. In dieser Perspektive steht das Individuum zentraler als die Gruppe. Trotzdem widmet diese Strömung ihre besondere Aufmerksamkeit den spezifischen Ausschlussmechanismen, die Organisationen speziellen Gruppen gegenüber haben können. Nicht die unterschiedlichen Zielgruppen, sondern die Organisationen selbst haben einen Rückstand: sie sind diejenigen, die eine Vielfalt an Talenten nicht (gewinnbringend) einsetzen können weil sie die nicht (an-)erkennen.

 

Zielgruppenproblem oder Organisationsproblem

Die Wissenschaftelerin Dr. Eman Gaad hat die Frage untersucht, wie auf einer internationalen Schule in den Vereinigten Arabischen Emiraten mit sehr verschiedenen Lehrern und Schülern, ein Lehrer mit Erfolg funktionieren kann. Dabei hat sie vier Faktoren gefunden, die Bildung in einem interkulturellen Kontext beeinflussen.

Erstens sollte man die Situation der Schüler kennen und verstehen, und sie dementsprechend behandeln. Es gab zum Beispiel deutliche Klassenunterschiede in der Schule: Schüler im Alter von 5 Jahren hatten Mühe, eine Lehrerin zu akzeptieren, die sich nicht kleidete wie ihre Mutter: dann sahen sie sie wie ihre Nanny oder anderes Personal, und so wurde sie auch behandelt. Auch was die Sprache betrifft, konnten die Schüler sehr kritisch sein, und es gab Lehrer, die das Gefühl bekamen, die Schüler wollten sie `fertig machen`, weil sie keine Muttersprachler waren. Die Beziehung zu den Eltern konnte auch sehr wechselhaft oder schwierig sein. So konnte ein Lehrer aus Indien alles mit den Eltern aus Bangladesh, Sri Lanka oder Pakistan besprechen, aber arabische Eltern akzeptierten keine einzige Form von Kritik oder Ratschlägen von ihm. Auffallend war, dass Schüler die normalerweise nicht beliebt sind (Schüler mit Lernschwierigkeiten, mit einer Behinderung, etc.), in dieser Schule populär waren bei den Lehrern. Management gab es kaum; die Lehrer waren meist auf sich selbst angewiesen; was wirklich in den Stunden geschah, schien keinen im Management zu interessieren.

Dr. Gaad empfiehlt, an kulturellem Unterscheidungsvermögen zu arbeiten. Wenn Lehrer verstehen warum Schüler so handeln, ist es auch nicht mehr so wichtig. Betone die Vorteile für Lehrer ('what is in it for teachers'), sagt Dr. Gaad. Man wird ein besserer Lehrer und ein Weltbürger. Man wird auch kultursensitiv. Kulturelles Unterscheidungsvermögen hilft, um an besseren sozialen Systemen und an Integration zu arbeiten, und genau das ist wesentlich, um gut unterrichten zu können. Man lernt von unterschiedlichen Perspektiven aus zu beobachten und erkennt, dass alle Kulturen Vor- und Nachteile haben.

Dr. Gaads Empfehlungen haben auch einen grossen Wert für Europa, wo in grossen Städten manche Schulen einen interkulturellen Charakter bekommen haben. Es gibt viele Schulen, die nicht mehr überleben können, ohne diese interkulturellen Schüler: ein non-profit Beispiel vom Business Case. Diese Arbeit ist nicht einfach für Lehrer, aber man sollte immer die Vorteile für die eigene Entwicklung der Lehrer betonen! Ausserdem sollten wir die Ambition für gutes Management nicht aufgeben: technisches Management genügt nicht, interkulturelle Schulen brauchen aktives Management auch für den täglichen Gang der Dinge in Klassen.

 

B.2 Gesetzgebung

Gesetzgebung ist für diese Strömung eher eine Tatsache als ein Wunsch. Gesetze sind vor allem ein Grund und demnach Motivation, um sich mit Vielfalt zu beschäftigen. Von dieser Strömung aus sollte nur aktiv an neuer Gesetzgebung gearbeitet werden, wenn von klar definierten Ausschlussmechanismen in Organisationen die Rede ist. Prozesse zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern werden zuweilen als notwendig, aber gleichzeitig mit einiger Zurückhaltung betrachtet. Sie stehen meistens im Widerspruch zur praktischen Seite, die diese Strömung kennzeichnet.

 

Mehr als nur die Anwendung des Grundgesetzes

Das Grundgesetz in Südafrika sieht Vielfalt als eine der Charakteristiken des neuen Südafrika und als eine Methode, um die Kluft zwischen den "Rassen" zu überbrücken. Jeder hat das Recht auf seine eigene Sprache. Niemand darf jemanden aufgrund von Rasse ausschließen. Alle Organisationen, die vom Staat finanziert werden, müssen eine Politik haben hinsichtlich Mehrsprachigkeit. Initiativen in der eigenen Sprache werden ausdrücklich unterstützt.

Der südafrikanische Kontext unterscheidet sich von anderen Ländern: die sich bedroht fühlende Minderheitsgruppe (Afrikaander/Buren) ist nicht die Gruppe, die in der Vergangenheit diskriminiert wurde und arm war, im Gegenteil: die Kultur und Sprache der Afrikaander/Buren war vorherrschend. Die Universität von Stellenbosch hat burische Wurzeln und sucht jetzt nach einer guten Umsetzung der Politik der Mehrsprachigkeit. Die Anwendung des Gesetzes ist nicht einfach oder gar selbstverständlich. Es reicht nicht, eine Menge schwarzer Studenten anzunehmen, die Afrikaans sprechen, weil dann noch immer ein universalistisches Modell von Kultur und kulturellen Werten im Mittelpunkt steht. Der multikulturelle Charakter von Südafrika muss Ausdruck finden in einem mehrsprachigen Bildungsangebot, wo nicht die eigene Gemeinschaft, sondern der gegenseitige, gleichwertige Austausch im Vordergrund steht. Auf diese Frage hat die Universität von Stellenbosch noch keine gute Antwort gefunden. Aber sie hat schon eine deutliche Vision entwickelt, die Kultur übersteigt und die einen strategischen Rahmen bietet (den Business Case!). Damit erweist sich die Universität als erneuernd:

"It is not only the extension of our demographic profile that is at issue, but also the extension of our world of thought and ideas. A diversity of ideas is important for the kind of university we would like to be, as it stimulates innovative thought. This ideal is more easily attained in the context of a university community that reflects all manifestations of diversity... colour, gender, religion, class, origin, disabilities, sexual orientation, health and illness, affluence and poverty".

Die Universität beschränkt sich also damit nicht auf eine magere Ausführung des Gesetzes, sondern koppelt ihre Entwicklung an Vielfalt als Quelle von Innovation und Kreativität.

Auffallend in dieser Präsentation war die Abwesenheit eines Urteils: im Vergleich mit den Präsentationen aus den Vereinigten Staaten, wo die 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts mit den Ereignissen um Martin Luther King noch quicklebendig sind, stellt die südafrikanische Vision und Strategie nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft in den Mittelpunkt. Auf pragmatische Weise richtet sich alle Aufmerksamkeit auf Lösungen, Entwicklung und Chancen. So ruft die Präsentation zum Mitdenken auf und gibt ein starkes Gefühl von Hoffnung.

Ich glaube, dass Europa davon vieles lernen kann. Obwohl Niederländer, Deutsche oder Franzosen nicht eine Minderheitsgruppe formen, gibt ihnen die wachsende Multikulturalisierung und auch Mehrsprachigkeit manchmal das Gefühl, eine bedrohte Minderheit zu sein. Relevant für Europa ist die Kraft der Südafrikaner, Probleme anzugehen, ohne ein Urteil, die Augen gerichtet auf eine bessere Zukunft. Außerdem gibt es hier ein gutes Beispiel für Universitäten in Europa, die nach einer erfolgreichen multikulturellen Ausrichtung suchen.

 

B.3 Auswirkung in der Organisation

Die Auswirkung der Business Case-Strömung richtet sich stark nach der Verknüpfung von Vielfalt an die Ziele und die Strategie des Unternehmens, und nach den Fertigkeiten von Managern und Mitarbeitern. Personalpolitik ist wichtig, aber Marketing ebenso. Schulungen werden größtenteils von diesen Themen gefüllt, und man begrenzt sich auf die eigene Organisation (anstelle die ganze Gesellschaft einzubeziehen).

 

Geschäftlicher Best Practice: Infosys

Infosys ist ein internationales Unternehmen aus Indien (2005: 39.000 Mitarbeiter), das Diversity Management für seinen eigenen Business Case in allen Aspekten benutzt.

Der Business Case von Infosys hat inhaltliche und geschäftliche Interessen:

Infosys hat all diese sieben Aspekte ins Verhältnis gesetzt zu den Variablen die es im Unternehmen gibt, z.B. Einkommen, Bildung, Fertigkeiten, Klasse, sexuelle Orientierung, Religion, Gender, Alter, Nationalität, Kultur, Behinderung usw. So wurde festgestellt, wo sich die Aspekte und Variablen kreuzen und demnach Massnahmen nötig sind. Die Organisationseinrichtung von Infosys basiert auf Rollen und funktionellen Kompetenzen die zu jeder Rolle gehören. Ursprünglich gab es jedoch keine Indikatoren für interkulturelle Kompetenzen.

Infosys hat das alles jetzt in seine eigene Weiterbildungspolitik integriert und wendet es bei Teamzusammenarbeit und beim Umgang mit Kunden an.

Dabei hat sich Infosys mit Fragen der Messbarkeit von diversity efforts in der Organisation beschäftigt. Infosys misst die Effektivität des Vielfaltprogramms auf vier Ebenen:

1. nach jedem Training oder jedem Meeting füllen die Teilnehmer online ein Evaluationsformular aus

2. Infosys hat Wissenstests, die man vor und nach den Schulungen oder Meetings macht

3. für Verhaltungsänderungen gelten die Kundenzufriedenheitsuntersuchungen als Gradmesser (aufgenommen ist z.B. ein Punkt hinsichtlich der kulturellen Kompetenzen der Infosys Mitarbeiter); Manager bekommen Feedback anhand von diesen Reaktionen

4. es muss sich lohnen fürs Geschäft: der Umsatz muss steigen

Bei Kompetenzen hinsichtlich von Vielfalt geht es vor allem um Bewusstsein ('mindset') und Verhaltungsänderung. Gerade diese beiden Aspekte sind schwer zu messen, so die Erkenntnisse von Infosys.

Außerdem hat Infosys noch einen nächsten, einzigartigen Schritt nach vorn gemacht. Der Gedanke kam auf, dass die eigenen Kompetenzen nur die Hälfte des Erfolgs sind in interkultureller Kommunikation; die andere Hälfte ist natürlich die Kompetenz der Kunden!

Zur Strategie von Infosys gehört, nicht mehr nur, einfache Programmierung für ihre Kunden anzubieten, sondern ein Totalpaket für ICT. Dafür muss Infosys aber die Dienstleistungen oder die Produktion seiner Kunden sehr gut kennen. Von diesem Gedanken aus hat Infosys Workshops für 'cross cultural collaboration' an einige wichtige, aber noch relativ kleine Kunden angeboten. Die Ergebnisse waren ziemlich gut: Infosys hat so ein Verständnis aufbauen können, so dass der Umsatz gestiegen ist. Ein Beispiel: ein Kunde, bei dem 200 Mitarbeiter im Einsatz waren, hat jetzt 700 Mitarbeiter von Infosys; das Infosys Angebot hat sich zu einer integralen Dienstleistung von hoher Qualität weiterentwickelt.

Infosys bietet ein ausgezeichnetes Beispiel von einem geschäftlichen Best Practice. Natürlich ist der Maßstab mit dem Infosys arbeitet viel grösser als der, den manche europäische Organisationen benutzen. Infosys hat eine Menge umfassende, sehr wohl erwogene Systeme, Fragebögen und Tests entwickelt. Jedes Unternehmen kann für sich bestimmen, wieviel Entwicklung es braucht. Aber nach unserer Erfahrung haben europäische Organisationen manchmal eher noch zu wenig als zu viel entwickelt. Sehr brauchbar ist auf jeden Fall der Rahmen in dem Infosys arbeitet. Die Feststellung eines expliziten Business Case und das Schaffen von Messbarkeit formen einen Weg, den jede Organisation unbedingt gehen sollte. Die Feststellung von interkulturellen Kompetenzen, ergänzt mit Kompetenzen,Vielfalt im Allgemeinen zu managen, ist unentbehrlich in einem Europa der Vielfalt, wo Mitarbeiter jeden Tag mehr die Forderung an ihre Organisationen stellen, ihre persönliche Kultur und Identität zu respektieren und gerade sie zu nutzen.

 

C. West-Europa zwischen wägen und wagen

West-Europa (ebenso wie Australien) befindet sich zwischen den beiden Strömungen so ungefähr in der Mitte.

Einerseits gibt es die Tendenz, der erstgenannten Strömung aus den Vereinigten Staaten zu folgen; es ist ein altes und erprobtes Modell, obwohl es - wie sich jetzt herausstellt - auch eine Menge von Problemen in sich birgt. Auf EU-Ebene hat sich in den letzten Jahren eine Gesetzgebung entwickelt, aber in den Niederlanden ist zum Beispiel das Gesetz 'Samen' (für ethnische Registrierung von Mitarbeitern in Unternehmen) gerade wieder abgeschafft worden.

Andererseits gibt es in Europa besonders von Unternehmen aus viel Widerstand gegen jede Form von Gesetzgebung, Drängen und Zwang, und scheint der Business Case ein ansprechenderes Konzept zu sein.

Europa sitzt also zwischen zwei Stühlen. Einerseits gelten die Fragen von Politik und Moral: wie soll es sein? Andererseits verlangt Europa nach Pragmatik und Erfolg: was funktioniert gut?

Meiner Meinung nach ringen wir in Europa jetzt darum, einen guten Weg für Diversity Management zu finden, und das hat in erster Linie zwei Ursachen:

1. Wenn wir über Vielfalt reden, reden wir schnell über die ganze Weltproblematik. Es ist ja unmöglich, alle Probleme der Welt zu lösen, und erst recht, wenn man die Beschränkungen der geschäftlichen Perspektiven einbezieht! Im Unternehmen lohnt es sich meist nicht, sich mit Politik zu beschäftigen. Wenn man über Strategie spricht und über den Einsatz von vielartigen Talenten, kann man nicht den Krieg in Irak und andere ethnische Weltkonflikte lösen. Das ist auch nicht notwendig: manche Unternehmen benutzen Talente von unterschiedlichen Mitarbeiter, ohne sich in politischen und gesellschaftlichen Diskussionen zu verlieren! Für effektive Arbeit in Organisationen muss man unterscheiden zwischen Vielfalt im Unternehmen und Vielfalt in der Gesellschaft.

2. Wir haben noch nicht hinreichend investiert in Diversity Management als Fach. Zu oft ist es noch ein moralisches Thema: das sollte man doch automatisch tun! Was ist denn mit diesem Manager los? - Warum hat er Schwierigkeiten mit Vielfalt? Man zweifelt nicht an seinen Fertigkeiten, sondern an seiner Tugendhaftigkeit! Deshalb sagt er nichts und klagt er nicht. Und deshalb benutzt das Unternehmen nur einen Teil von seinen Talenten...

Inzwischen gibt es in Europa eine Menge interner und externer Berater, die alles wissen über Diversity Management. Es gibt sehr viel Wissen und viele Methoden. Aber bisher fehlt es Europa an Führung, an Topmanagern, die selbst einen Diversity-Prozess im Unternehmen führen können. Europa, und den europäischen Topmanagern, fehlt eine eigene Positionierung, die mit dem Kern der Organisationsziele und der Strategie verwoben ist. Von einem Beraterblick aus kann man schon viel gutes für Diversity beitragen, aber für maximalen und langfristigen Erfolg kommt es darauf an, dass Diversity-Prozesse mit fester Hand und zielbewusst von Topmanagern geführt werden! Ansprechende Ergebnisse bleiben anno 2006 in Europa noch größtenteils aus, weil Unternehmen zu wenig Vision und Ausdauer zeigen, um einen wirklich guten Business Case dem Konzept der Gerechtigkeit gegenüber zu stellen.

 

Literatur

Diversity Konferenz 30 Juni - 3 Juli 2005, Peking, China 'The Fifth International Conference on Diversity in Organisations, Communities and Nations'
Für mehr Informationen: http://d05.cgpublisher.com

Gaad, Eman - Britische Universität in Dubai, Vereinigte Arabische Emirate (1 Juli 2005): Präsentation 'Crossing the barriers: culturally diverse teachers teaching in culturally diverse mixed abilities classrooms in the United Arab Emirates'

Geffen, Grethe van - Seba cultuurmanagement bv, Niederlande (3 Juli 2005): Präsentation 'Diversity for Western European Managers'

James, Channelle - Universität North Carolina Greensboro, USA (30 Juni 2005): Präsentation 'Making workplace diversity really work: themes of justice as central components of diversity initiatives'

Marthy, Smitha und Masood, Kaiser - Infosys Technologies Ltd, Indien, (2 und 3 Juli 2005): Präsentationen 'A study of the range of diversity interventions that can be deployed in a global corporation: a case study using the Infosys experience' und 'A cultural competency framework in Infosys using an empirical approach: a workshop to create awareness on how diversity could be bridged through competence'

Scott, Chaunda - Oakland Universität Rochester, USA (1 Juli 2005): Präsentation 'Current status and future trends of workplace diversity initiatives in the U.S.: a literature review'

Wang, Ning - Tsinghua Universität, China (1 Juli 2005): Präsentation 'Constructing Chinese cultural identity and critical discourse in the context of globalisation'

Xaba, Jantjie - Universität Stellenbosch und Mofokeng, Lesala Lucas - Universität KwaZulu-Natal, Südafrika (1 Juli 2005): Präsentation 'Diversity, institutional transformation and 'minority groups' reflections on the dilemmas faced by higher education institutions'

 

 

Publiziert in Managing Diversity Serie der Universität Dortmund Band 6: Diversity Outlooks, herausgegeben von Prof. Hansen, Prof. Müller, Dr. I. Koall, Juni 2007.

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