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Diversity-Infothek

 

Angelika Plett

Angelika Plett (Dipl.Soz.Päd) ist Organisationsberaterin und Mediatorin und Gesellschafterin bei mitte consult in Berlin.

Arbeitsschwerpunkte: Diversity Management als Unternehmensstrategie; Diversity: Train the trainer; Interkulturelles/Internationales Management; Strategieentwicklung; Coaching;

idm-Mitglied seit 2004. Von 9/2006 bis 2008 war Angelika Plett Vorstandsmitglied bei idm.

Ein ganz persönlicher Überblick über den Stand von Diversity Management in Deutschland

von Angelika Plett

 

Meinen ersten Kontakt mit dem Ansatz 'Managing Diversity' hatte ich im Jahr 1991 als Mitglied eines Vereins, der Seminare in interkultureller Kommunikation anbot. Unser Ansatz war von zwei holländischen Kolleginnen, Lida van den Broek und Ida Sabelis(1), entwickelt worden. Wir standen in einem engen fachlichen Austausch und trafen uns einmal im Jahr, um Erfahrungen auszutauschen und das Konzept weiter zu entwickeln. Grundlage der Seminare war, eine Selbsterforschung anzuleiten, wie durch Erziehung und Erfahrungen im Laufe der persönlichen Entwicklung sich das Bild von Fremden gebildet hat und wodurch der Umgang mit Fremden und Fremdem beeinflusst wurde. Dies sind oft tief in der Sozialisation verankerte, zumeist im Unbewussten verborgene Grunderfahrungen. Als Erwachsene sind wir diesem Gewordensein nicht mehr einfach ausgeliefert, sondern können bewusst entscheiden, nach unseren eigenen Wertvorstellungen, was im Hier und Jetzt für uns angemessenes Verhalten ist.

Gefallen hatte mir von Anfang an der wertschätzende Umgang mit sich selbst, der erst erlaubte, sich mit eigenen Vorurteilen und festen Bildern auseinanderzusetzen. In meiner parallel laufenden Gestaltpädagogik-Ausbildung hatte ich gelernt, dass Veränderung nur möglich ist, wenn ich das Jetzt akzeptiere (Paradox der Veränderung) und nicht schon immer Woanders sein möchte.

Neben der Selbsterforschung legte der Ansatz auch Wert darauf, dass der Handlungsspielraum erweitert wurde, so dass ganz praktische Veränderungen angegangen werden konnten.

 

Anfänge im Non-Profit Sektor

Lida und Ida kamen 1991 aus den USA zurück, und in einem der Austauschtreffen machten sie uns mit Übungen und dem Konzept des Diversity Management (DM) bekannt. Wir sahen sofort die Weiterentwicklung und die Möglichkeit der Einbettung unseres Einsatzes in diesen größeren Zusammenhang.

Sehr bald hatten wir die Gelegenheit Workshops mit Teams und offenen Gruppen zu Managing Diversity anzubieten. Zum Beispiel arbeiteten wir mit dem Team eines deutsch-arabischen Mädchenprojektes, und zwar auf den unterschiedlichen Ebenen von Beziehungsgestaltung/Umgang miteinander (Personenebene), Zusammenarbeit (Teamebene) und Konzept und Umsetzung (Organisationsebene).

 

Beispiel:

Wir arbeiteten an der Frage, nach welchen Werten sich die Angebote ausrichten sollten. Sollten alle arabischen Mädchen zu westlich orientierten, "emanzipierten" jungen Frauen erzogen werden? Welche "arabischen" Werte waren wichtig zu achten und wie gehen die deutschen Kolleginnen damit um? Arbeiteten die arabischen Pädagoginnen für die Mädchen (und was ist das?) oder vollzogen sie ihren eigenen Emanzipationsweg mit ihnen immer wieder neu? Ist dies eine deutsche, eine arabische oder eine bi-kulturelle Einrichtung und woran merkt man dies? Gibt es Unterschiede im Einfluss, den arabische oder deutsche Mitarbeiterinnen in der Organisation haben? Es ging also nicht nur darum, die individuelle Fähigkeit eines jeden Teammitgliedes im Umgang mit Unterschiedlichkeit zu betrachten und zu erweitern, sondern die strukturellen Bedingungen, vorgefunden oder selbst gestaltet, waren ebenso Teil der gemeinsamen Klärung.

Die Anfragen von Organisationen aus dem Non-Profit-Bereich, unserem angestammten Klientel, nahmen zu. Wir wurden eingeladen, für eine mehrteilige Lehrerfortbildung Module durchzuführen. Aus dieser Fortbildung gibt es noch heute engagierte TeilnehmerInnen, die mit dem Ansatz in Schulen weiter arbeiten. So entstand nach und nach ein kleines Netzwerk von Aktiven, die auch heute noch im sozialen Bereich Diversity-Arbeit machen.

Durch meine Reisen in die USA habe ich mich über die theoretische und praktische Entwicklung des DM weiter informiert und Kontakte aufgebaut. 1997 organisierte ich eine Fortbildungsreise nach New York. Die Columbia University und die dortige Lehrergewerkschaft halfen mir, ein Programm zusammen zu stellen. Es gab einen Verbund von Schulen aus drei Staaten, die mit DM arbeiteten und wir bekamen die Gelegenheit einige davon zu besuchen.

Die Diversität, mit der dort die Lehrer umgehen mussten war sehr vielfältig: Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Bildungsstand, Kultur sind nur einige davon. Eine Schule arbeitete mit Kindern jüngst eingewanderter Familien, die zum Teil kaum englisch sprachen, einen sehr unterschiedlichen Bildungsstand (von nahezu Analphabeten bis hin zu mit dem Abitur vergleichbaren Abschlüssen) mitbrachten, aber schnell fit gemacht werden sollten, um im Arbeitsleben bestehen zu können.

Die Gruppe der TeilnehmerInnen bestand aus LehrerInnen und SozialarbeiterInnen.

 

Erfahrungen mit Unternehmen

1998 eröffnete ich meine Firma für Organisationsberatung und weitete meinen Klientenkreis aus in Richtung Unternehmen.

Einen ersten Kontakt nahm ich auf zu Hewlett-Packard, die in ihren Niederlassungen so genannte Diversity Task Forces gebildet hatten. Diejenige, zu der ich Kontakt aufnahm, beschäftigte sich mit den Zielgruppen Frauen, Menschen mit Behinderungen und mit potentiellen Vorruheständlern. Nach der Kategorisierung von Thomas/Ely (1996)(2) fällt dies in das Discrimination-and-Fairness Paradigm. Die Organisation kümmert sich um ihre Mitglieder, besonders um diejenigen, die schlechtere Chancen haben und deshalb einer besonderen Unterstützung bedürfen.

Durch Empfehlungen weitete sich der Kreis der Unternehmen, in die ich Einblick bekam. 1999 erfolgte ein erster Auftrag, ein Diversity-Audit zu erstellen. Ein globales Unternehmen, Hauptquartier in den USA, startete das internationale Roll-out seiner Diversity-Politik. Auch die deutsche Tochter wurde gedrängt, aktiv zu werden.

Mein Konzept wurde angenommen. Ohne ein Vorbild zu haben, entwickelte ich eine eigene Vorgehensweise. Zusammen mit dem Diversity-Council, gebildet aus MitarbeiterInnen verschiedener Standorte, Berufe, Hierarchie-Ebenen und Geschlechtern wurde eine Gruppe von Interviewees zusammengestellt, die nach möglichst diversen Kriterien zusammengestellt wurden. Dies sollte einen perspektivenreichen Blick auf das Unternehmen ermöglichen (Plett, 2005)(3). Die Auswertung der Interviews erfolgte in einem Bericht mit Interventionsvorschlägen, die anschließend von dem Diversity-Council in einen Business Plan eingearbeitet wurden. Meine Recherche einige Monate später ergab, dass aufgrund einer Fusion mit dem Weltmarktführer, der Diversity-Politik nicht unterstützte, der Business Case nie umgesetzt wurde.

Meine Erfahrung ist, dass der Anstoß in amerikanischen Unternehmen in Deutschland, sich mit dem Thema Diversity zu beschäftigen oft vom Hauptquartier ausgeht, ohne dass das deutsche Tochterunternehmen dies selbst anstreben würde. Allerdings gibt es in den Unternehmen immer Menschen, die die Idee tatkräftig unterstützen. Sei es, weil sie sich selbst als Betriebsräte oder Gleichstellungsbeauftragte mit dem Thema Diskriminierung täglich auseinander setzen oder weil sie selbst von Diskriminierung betroffen in DM eine Chance für Veränderung sehen. Ich hatte Gelegenheit, danach in die USA zu reisen und mit erfahrenen Kolleginnen (Lee Gardenswartz und Anita Rowe) in einen fachlichen Austausch zu gehen, der andauert.

Der größte Teil der in den Jahren danach folgenden Diversity-Arbeit als Organisationsberaterin bestand und besteht aus kurzen Workshops zur Einführung in das Thema. Ziel dieser Workshops ist in der Regel eine Grundinformation: Was ist Managing Diversity? Was haben wir davon? Wie macht man das? Was müssen wir dafür lernen?

Anstoß ist oft, dass durch die zunehmende Diversifizierung der Belegschaften die Zusammenarbeit schwieriger, die Aufgaben komplexer werden. Diversität wird als Verhinderung effektiver Arbeit erlebt. Unternehmen haben auf die Veränderung des Arbeitsmarktes und auf die Internationalisierung ihrer Märkte mit veränderter Zusammensetzung ihrer Belegschaft reagiert. Nach Thomas/Ely reagieren sie nach dem Access-and-Legitimacy Paradigm. Unternehmen sehen einen betriebwirtschaftlichen Sinn darin, abweichend vom Gewohnten, Zugang für andere Bevölkerungsgruppen zu ermöglichen. Sie versuchen, ein internes Abbild ihrer Kunden- und Lieferantengruppen zu erzeugen, um ihre Marktchancen zu erhöhen. Menschen werden eingestellt, gerade weil sie Frauen, Ausländer etc. sind. Was nicht vorhergesehen wurde: damit verändert sich auch das Unternehmen, Strukturen und Prozesse müssten angepasst werden an die neue Realität. Allerdings unterbleibt dies oft. Der Fokus für Veränderung liegt immer noch auf den einzelnen MitarbeiterInnen: sie müssen lernen, miteinander besser umzugehen. Verortet wird das Thema DM deshalb auch folgerichtig bei der Personalabteilung, manchmal als Stabsstelle bei der Personalleitung, oft ist es das veränderte Aufgabengebiet der Gleichstellungsbeauftragten, die mit großem Engagement und oft wenig Einfluss auf die Gesamtorganisation eine harte Arbeit leisten.

Eindrucksvoll ist für mich immer wieder, wie viel Angst und Abwehr das Thema auslöst. Von der Seite der Gleichstellungsbeauftragten kommt die Befürchtung, dass ihre Arbeit entwertet wird und die Unterstützungsbemühungen für eine Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinter dem Diversity-Ansatz verschwindet.

Nur sehr wenige Unternehmen folgen dem dritten Paradigma, das Thomas/Ely Learning- and-Effectiveness Paradigm nennen. Dies beinhaltet, dass die gesamte Organisation, und hier besonders das Management, sich darüber im Klaren ist, das alle umlernen müssen, dass die Organisation sich insgesamt verändern muss und mit DM ein Kulturwandel verbunden ist. Alle Grundüberzeugungen, geronnen in Abläufen, Strukturen, Entscheidungswegen, müssen überprüft werden auf ihre Tauglichkeit für unterschiedliche MitarbeiterInnen, KundInnen, Lieferanten etc. Entlang der Wertschöpfungskette kann eine Organisation sich selbst betrachten und sich, der Realität angemessen, verändern. Ein gewaltiges Unterfangen!

Einen Hinweis darauf, wann ein Unternehmen dies erkannt hat, ist die Ansiedlung der Diversity-Aktivitäten bei der strategischen Abteilung anstelle der Personalabteilung. Diversity wird hier verstanden als ein alle Geschäftsprozesse durchdringender Fakt, der aus unternehmensstrategischen Gründen mit in Entscheidungen einbezogen werden muss. Klassischerweise ist dies dann eine Mischung aus Top-down und Bottom-up Interventionen. Und ein andauernder Prozess.

 

Grenzen für Diversity Management?

Auf der persönlichen Ebene geht es in den Workshops darum, die Wahrnehmungsfähigkeit für relevante Unterschiede zu stärken und sich die Auswirkungen dieser Unterschiede vorurteilslos anzuschauen. Die sind von Organisation zu Organisation verschieden. Als Beraterin gehört es zu meiner Grundüberzeugung, dass ich den Daseinszweck einer Organisation akzeptieren muss, sonst ist weder Zusammenarbeit noch sinnvolle Veränderung möglich. Ich muss auch akzeptieren, dass es aus Überlebensgründen für Unternehmen Grenzen des Diversity Managements gibt.

 

Beispiel:

Ein sehr, sehr erfolgreiches internationales Unternehmen setzt auf flache Hierarchien, starke Kundenorientierung, Beteiligung der MitarbeiterInnen an Entscheidungen. Um den Zusammenhalt und die demokratische Auffassung davon, dass alle Menschen gleich sind aus zu drücken, benutzen alle das "Du" und tragen alle MitarbeiterInnen eine Einheitskleidung (auch der Personalleiter, obwohl er nicht direkt im Kundenkontakt steht). Das stärkt die Identifikation nach innen und das Erkennen von Zugehörigkeit von außen.

Folgendes Szenario ging ich mit dem Personalleiter durch:

Angenommen Sie haben eine Stelle zu besetzen und finden auch jemanden, der/die von der Qualifikation her genau Ihren Vorstellungen entspricht. Diese/r BewerberIn willigt ein, zu den dargestellten Konditionen in das Unternehmen einzutreten, mit zwei Ausnahmen: Er/Sie möchte gesiezt werden und nicht die Einheitskleidung tragen. Der Personalleiter reagierte ohne Nachdenken: Dann kann er/sie bei uns nicht arbeiten. Diese Person würde bei uns nicht glücklich werden. Alle würden duzen und alle fänden es befremdlich, wenn sich jemand "verweigert".

Wenn die Toleranz in einem Unternehmen an solchen "Kleinigkeiten" scheitern kann, könnte man annehmen, dass es mit dem Diversity-Gedanken dort nicht weit her sein kann. Ich bin mit solchen Schlussfolgerungen vorsichtig. Es lohnt sich, sehr genau hin zu schauen, wo Grenzen des "alles ist möglich und ok" sind und wo der Kern der Identität der Organisation berührt wird, die den Erfolg ausmacht.

Dies ist ein Thema, das bisher wenig in der Diversity-Diskussion behandelt wurde. Nach dem Discrimination-and-Fairness Paradigm, der einen hohen moralischen Anspruch mittransportiert, ist eine solche Diskussion geradezu verwerflich. Kann man eine höhere Priorität haben, als das Gleichheitsprinzip aller Menschen?

Interessant, wie die Diversity Community mit solchen Ansichten umgehen wird. Darf so gedacht werden?

 

Neuere Entwicklungen

Die Diskussion um die Überleitung des Europäischen Anti-Diskriminierungsgesetzes in nationales Recht hat eine neue Situation geschaffen. Die Vorlage der Bundesregierung wurde jüngst von der CDU-Mehrheit im Bundesrat gestoppt. Befürchtet wird ein erheblicher Wettbewerbsnachteil für deutsche Firmen durch die weitergehenden Regelungen des deutschen Gesetzesvorhabens. Ein Punkt ist die Einklagbarkeit von Gleichstellung, wobei die Beweise, dass nicht diskriminiert wird, von den Beklagten erbracht werden müsste. Reaktionen in den Unternehmen beziehen sich meiner Kenntnis nach vor allem auf die Befürchtung, einer Prozesslawine ausgesetzt zu sein, und der Beginn "amerikanischer" Verhältnisse. Bekanntermaßen geht es bei den Anti-Harassment-Prozessen in den USA oft um viel Geld!

Ein Unternehmensverband startete eine Kampagne zur Unterstützung von Mitgliedsunternehmen. Es ging darum, die Auswirkungen des kommenden Gesetzes, selbst eines weniger scharf gefassten, auf interne Regelungen, Verträge und Abläufe zu überprüfen und das Unternehmen vor unangenehmen Folgen zu schützen.

Die Leitung dieser Kampagne ist sehr angetan von dem Diversity-Gedanken und versucht, Unternehmen davon zu überzeugen, dass nicht nur die "Reparatur schadhafter Regelungen" ansteht, sondern eine Überprüfung des Unternehmens im Sinne des DM. Ein Unternehmen erteilte den Auftrag, zum einen eine rechtliche Überprüfung seiner Verträge etc. vorzunehmen, um den legalen Ansprüchen des zu erwartenden Gesetzes zu entsprechen. Es wurde davon überzeugt, durch eine MitarbeiterInnen-Befragung den inneren Zustand des Unternehmens bezüglich des Umgangs mit Unterschiedlichkeit zu erheben. Das Unternehmen wäre dann aufgrund der Erkenntnisse in der Lage, strukturelle Veränderungen vorzunehmen, um es insgesamt wettbewerbsfähiger zu machen.

Als Unterauftragnehmerin erhielt ich den Auftrag, diese MitarbeiterInnen-Befragung vorzunehmen. Mit zwei Mitgliedern der Personalleitung sprach ich ab, was das Haupterkenntnisinteresse des Unternehmens ist und stimmte den möglichen Umfang der Befragung ab.

Meine Aufgabe sollte sein, eine Ist-Analyse ihrer personalpolitischen Instrumente zu erstellen und die Unternehmenskultur in Bezug auf den Sensibilisierungsgrad von Diversity zu untersuchen. Der Bericht sollte dann auch Hinweise für die Entwicklung einer Diversity- Strategie für das Unternehmen enthalten und entsprechende Maßnahmen empfehlen. Um unterschiedliche Standorte und Belegschafts-Gruppen zu berücksichtigen, wurden Interviews sowohl am Hauptstandort in der Nähe von Frankfurt/Main organisiert, zu dem MitarbeiterInnen aus nahe gelegenen Standorten eingeladen wurden, wie auch Treffen z.B. in Berlin.

Wie bei allen meinen Befragungen in anderen Unternehmen zuvor erlebte ich eine große Offenheit in den Einzelinterviews. Die Interviewees waren glücklich, dass ihnen endlich mal jemand zuhörte und an ihren Ansichten über das Innenleben des Unternehmens interessiert war. Natürlich schwang auch die Hoffnung mit, dass ich als die Überbringerin schlechter Nachrichten für das Management fungieren könnte und mir eher zugehört wird als ihnen. Die Ergebnisse der Interviews wurden in einer Präsentation zusammengefasst. Ebenso enthielt sie Hinweise für das Management insbesondere der Personalabteilung wie auch für die Schulung von MitarbeiterInnen und Management-Nachwuchs.

Die Präsentation war ein Desaster!

Schon nach den ersten Informationen hörte der Personalchef nur noch ungeduldig zu. Das war nun überhaupt nicht, was er erwartet hatte. Sein Interesse bestand darin, einige wenige praktische Hinweise zu bekommen, die er per Anweisung seinen zuständigen MitarbeiterInnen als abzuarbeitende Aufgabe übergeben konnte. Danach sollte die ganze Sache geregelt sein und er konnte sich anderen, wichtigeren Themen zuwenden. Das zu erwartende Anti-Diskriminierungs-Gesetz war aus seiner Wahrnehmung eine Komplikation in den gewohnten Abläufen, die es galt weitestgehend zu neutralisieren. Er war sich anscheinend nicht wirklich im Klaren darüber, worauf das Angebot des Unternehmerverbandes bezüglich der Befragung tatsächlich abzielten.

Die Personalentwicklerin sah das anders. Sie hörte Hinweise, die für sie wertvoll waren, und die sie in ihren PE-Maßnahmen auch berücksichtigen will. Allerdings hatte dies in Anbetracht der Reaktion ihres Chefs etwas Subversives.

Ganz abgesehen von der besonderen Situation der Auftragsverhandlung (ich war nur in der zweiten Phase dabei, als es um die konkreten Absprachen für die Erhebung ging), haben diese Ereignisse mit vorherigen Erfahrungen in Organisationen einiges gemeinsam. Die "Diversity-Experten" haben ein Bild davon, was sie tun möchten und was nötig ist. Was "state of the art" ist. Die Auftraggeber haben eine andere Agenda, die oft am Anfang nicht klar ersichtlich wird. Sehr häufig geht es um "quick fix", die schnelle Reparatur. Mich verwundert es nicht, dass das Ausmaß der Veränderungen, die auf ein Unternehmen zukommt, wenn es DM im Sinne des dritten Paradigmas umsetzen will, überwältigend erscheint.

Unterschätzt wird auch, dass das Management die gewünschte Veränderung selbst leben muss, um überzeugend zu sein. Die schönsten Diversity Policies sind nicht das Papier wert, wenn die Führungsetage zeigt, dass dies alles nicht so ernst gemeint ist.

 

Diversity ist drin, auch wenn es nicht drauf steht

Wir haben folgende Thesen zum Thema Diversity entwickelt:

  1. Unterschiede sind die Regel und nicht die Ausnahme.
  2. Unterschiede in der Organisation zu haben macht noch keinen Synergie-Effekt.
  3. Nur ein bewusster Umgang mit Unterschieden ermöglicht, sie als Ressource zu erschließen.

Nach diesen Grundsätzen arbeiten wir. Auch wenn bei einem Workshop oder Training nicht Diversity im Titel vorkommt: in der Realität ist es immer vorhanden.

Diversity im Sinne von Unterschieden, von Vielfalt, treffen wir überall an. Interessant wird es dann, wenn wir uns anschauen, wie mit Unterschieden umgegangen wird, welche als relevant gesehen werden. Was sind die Unterschiede, die einen Unterschied machen?

In jeder Teamentwicklung, in jeder Management-Klausur, in jedem Strategie-Meeting sind Unterschiede ein Thema, wenn auch oft nur verdeckt. Diese explizit und dadurch besprechbar zu machen, ist Aufgabe von Beratung.

Diversity-Management meint den Umgang mit diesen Unterschieden.

Diese drei Elemente zusammen ermöglichen Kompetenz im Management.

In jedem setting, in jeder Arbeit, die wir in Organisationen machen, berücksichtigen wir dies. In Teamtrainings, Mediationen, Coachings ist diese Vorgehensweise existent. Dabei ist unser theoretische und philosophische Hintergrund der Gestaltansatz.

Gestalt sagt: Kontakt findet an den Grenzen statt. Und: nur wenn es (von innen und außen) erkennbare Grenzen gibt, ist Kontakt möglich. Eine zu schnelle Vergemeinschaftung, die die Wahrnehmung von Unterschieden überspringt, kann nicht zu Wertschätzung und bedeutungsvoller Begegnung führen. In unserer Arbeit streben wir deshalb danach, eine Atmosphäre zu schaffen, die genug Vertrauen erzeugt, um mit Unterschiedlichkeit sichtbar werden zu dürfen. Wir leuchten aus, was dies in der gegebenen Realität bedeutet. Dafür muss eine gemeinsame Sicht auf diese Realität versucht werden. Der daraus resultierende Umgang mit anderen Menschen oder mit Aufgaben findet immer in einem Organisationskontext statt, den wir berücksichtigen müssen. Das uns aus der Mediation bekannte 'reality testing' ist dabei enorm hilfreich.

Unser Handwerkszeug ist dabei alles, was uns in unserer beraterischen Praxis zur Verfügung steht. Es gibt zwar einen Übungskanon, der speziell für Diversity-Trainings entwickelt wurde. Wir nutzen aber alles Handwerkszeug, das uns hilft, vertrauensbildende Maßnahmen zu unterstützen, sich mit der Realität zu konfrontieren und Handlungsmöglichkeiten abzuleiten.

 

Ein Beispiel:

Ich arbeite mit den Dimensionen des MBTI(4). Dieser gibt vier Pole vor, nach denen sich Menschen einschätzen können. Beispielsweise: bin eher introvertiert - bin eher extrovertiert. Zunächst bitte ich die TeilnehmerInnen, sich nach den vier Dimensionen selbst einzuschätzen. Dann rufe ich jeweils eine Dimension auf und die TeilnehmerInnen stellen sich in verschiedenen Ecken des Raumes auf. Zunächst sprechen sie miteinander in ihren Gruppen darüber, was der Vorteil ihres Verhaltens ist, und wo der Nachteil (self-awareness), dann geben die Gruppen Rückmeldung der jeweils anderen Gruppe, was ihnen an deren Art gefällt, sie unterstützt und auch was sie ärgert, behindert (in Kontakt gehen über Unterschiede). Die vier Dimensionen werden nacheinander so durchgearbeitet. Dabei stellt sich heraus, dass nicht jede Konstellation in den Dimensionen immer wieder die gleiche ist, die Gruppen mischen sich (aufweichen der festen Bilder).

In der gemeinsamen Auswertung wird dann auf den gemeinsamen Arbeitskontext geschaut. Was bedeutet die Erkenntnis aus der Übung für unseren konkreten Arbeitsalltag? Welche Verabredungen sollten wir treffen, um Konflikte und Behinderungen in der Arbeit zu minimieren oder zu vermeiden. Das bedeutet den Kontakt erweitern über die individuelle Begegnung hinaus auf das gemeinsame Arbeitsfeld. Wir begleiten die Aushandlungsprozesse und achten darauf, dass Unterschiede nicht zu schnell verwischt werden, weil man sich gerade so wohl fühlt miteinander. Wir bearbeiten hier also die Personen-, Team- und Organisationsebene.

Ich werde oft gefragt: "Was ist denn der Unterschied zwischen Organisationsentwicklung und Diversity?" Für mich gibt es keinen. Diversitymanagement ist Organisationsentwicklung. Ausgestattet mit einem bestimmten Fokus. Mit dem Mut zu nicht zu schnellen Einigungen, obwohl der Druck des Alltags existiert. Mit der Klarsicht, dass es diesen Alltag gibt, der zu bewältigen ist. Mit der Empathie für die Betroffenen, mit der Akzeptanz für deren Notwendigkeiten. Mit langem Atem.

Und mit der Grundüberzeugung, dass dies der richtige Weg ist. Wer sich Rechenschaft darüber ablegt, was Ausgrenzungserfahrungen anrichten weiß, dass Kreativität, Motivation und Engagement dazu im Widerspruch stehen, bzw. nur über eine ungeheure Energieleistung aufrechterhalten werden können. Wer andererseits erfahren konnte, was es heißt, von Wertschätzung und Akzeptanz getragen worden zu sein, weiß, dass es ungeheure Energien freisetzen kann.

 

 

Endnoten:

(1) van den Broek, L. (1988) Am Ende der Weißheit, Vorurteile überwinden, Ein Handbuch, Berlin: Orlanda Frauenverlag

(2) Thomas, D.A. & Ely, R.E. (1996) Making Differences Matter: A New Paradigm for Managing Diversity,Harvard Business Review, Reprint 96510

(3) ausführlicher beschrieben in Plett, A. (2005), Unterschiede sind die Regel und nicht die Ausnahme! In G. Hartmann, M. Judy (Hrsg.), Unterschiede machen, Managing Gender & Diversity in Organisationen und Gesellschaft, Wien: Edition Volkshochschule

(4) Myers Briggs Type Indicator, ein Persönlichkeitstest

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